Kirche für die Hosentasche

Kirche für die Hosentasche

Christoph Schmitter ist Pastor einer Freien evangelischen Gemeinde in Würzburg und auch Gründungsmitglied der betaKirche, der ersten digitalen Gemeindegründung im Bund Freier evangelischer Gemeinden. Im Gespräch mit Simon Diercks berichtet er, wie er Gott digital begegnet und wie es ist, die Kirche beim Umzug einfach mitzunehmen.

Christoph, was ist an einer digitalen Kirche anders als an einer analogen Kirche?

Gar nicht so viel oder so gut wie alles: Gleich ist, dass wir Gemeinschaft leben, Gottesdienste feiern, Glauben stärken und weitergeben wollen. Anders ist, dass sich manche Menschen in dieser digitalen Kirche noch nie analog gesehen habe. Wenn ich zur betaKirche gehe, dann gehe ich an meinen Computer und treffe Menschen, die ich digital mittlerweile teils sehr gut kenne, aber den einen oder anderen noch nie live gesehen habe.

Was bewegt einen dazu, dass man eine digitale Gemeinde mitgründen will?

Am Anfang stand einfach die Lust, was auszuprobieren. Und im Digitalen kann man relativ leicht was ausprobieren, ohne dass es gleich mit Kostenaufwand verbunden ist. Es war die Coronazeit im Herbst 2020 und wir saßen in einer Pizzeria. Dort hatten wir mit ein paar Leuten die Idee: Man müsste eigentlich mal probieren, ob man jetzt, wo sowieso so vieles nur digital stattfinden kann, nicht auch Kirche oder christliche Gemeinde digital abbilden kann. Nicht nur analoge Gemeinde, die ein bisschen was Digitales macht. Sondern als Gemeinde komplett digital leben. Und jemand fragte: Wäre das dann wirklich Gemeinde? Also kann man etwas Gemeinde nennen, was sich nur digital trifft? Und wir haben gesagt: Das muss man eigentlich einfach mal probieren. Dann haben wir angefangen uns zu treffen und zu überlegen, wie würde sowas aussehen?

Es war schnell klar: Das Charmante an so einer Kirche wäre, dass Menschen dabei sein könnten, egal, wo sie leben. Leute, die vor Ort vielleicht keine Gemeinde finden oder keine haben. „Kirche für die Hosentasche“ haben wir das genannt.

Wie fängt man eine digitale Kirche an?

Wir haben uns getroffen und über Werte gesprochen. Aber auch praktisch überlegt: Wie machen wir das mit Abendmahl und Taufe, Hochzeiten oder Beerdigungen. Wie soll das digital aussehen? Es war schnell klar: Eine digitale Kirche wird angewiesen sein auf Hilfe im Analogen. Du kannst nicht alles digital tun. Allerdings war auch klar: Jede analoge Kirche ist auch angewiesen auf Hilfe. Jede Kirche ist irgendwie defizitär. Wir brauchen immer andere, aber digitale Kirche hat eine Chance, die analoge Kirche nicht hat. Wir haben lange geplant und nach einem Jahr zu einem Hackathon eingeladen: Ein Wochenende lang am Rechner gemeinsam entwickeln, wie ein digitaler Gottesdienst aussehen kann? 30 bis 40 Leute – die sich teilweise nicht kannten – haben in Arbeitsgruppen experimentiert und kreative Ideen entwickelt. Und dann haben wir am Sonntag diesen ersten digitalen Gottesdienst gleich gefeiert. Das war der Startschuss. Damals sind eine Reihe Leute hängengeblieben und seither hat sich diese Gruppe, die sich betaKirche nennt, schon deutlich verändert.

Dann haben wir gesagt, was wir jetzt bräuchten, wären regelmäßige Gottesdienste. Das machen wir seither einmal im Monat – im Wechsel einen Gottesdienst und ein gemeinschaftliches Event. Wir haben angefangen, Kleingruppen zu gründen – digitale Communities. Es sind erste Strukturen entstanden und schließlich waren es zwölf Leute, die verbindlich gesagt und digital unterschrieben haben: Wir wollen gemeinsam eine digitale Gemeinde gründen.

Man könnte sagen, unser digitales Gemeindehaus, das ist eine App. Die App kann man sich installieren und kann miteinander connecten, kriegt mit, wann Events stattfinden, findet die Zugangsdaten für die verschiedenen Angebote, kann digitalen Communities beitreten. Das ist unser digitales Gemeindeleben.

Es ist immer noch im experimentellen Stadium. Klappt das wirklich, digitale Kirche zu leben? Dauerhaft und nachhaltig? Die Antwort ist – würde ich sagen – noch offen.

Geographisch sind es Menschen von Bremen bis Bayern und von Hessen bis Holland, die betaKirche leben. Aber was für Menschen sind das?

Zunächst mal sind das alles Leute, die einen christlichen Hintergrund haben. Manche haben eine Ortsgemeinde und fühlen sich darin pudelwohl, haben aber Lust auf etwas Neues zusätzlich. Mancher ist so ein bisschen nerdig unterwegs. Dann haben wir auch eine Reihe Theologen und Pastorinnen, die aus irgendwelchem Grund im Moment keine Gemeinde haben. Wir haben auch Leute, die enttäuscht sind von dem, wie Gemeinde für sie bisher war. Und dann haben wir aber auch Leute, die tatsächlich vor Ort keine Gemeinde haben. Gerade kürzlich ist eine von uns nach Kiel umgezogen, aber ihre Gemeinde hat sie dabei.

Wir haben auch strukturiert darüber nachgedacht, was unsere Zielgruppe ist: Wahrscheinlich sind es auch Leute, die beruflich viel unterwegs sind, im Schichtdienst Christoph Schmitter, Gründungsmitglied der betaKirche stecken und Leute, die irgendwo in der Diaspora wohnen. Internet gibt’s fast überall, aber Gemeinde nicht. Die meisten sind wahrscheinlich auch so zwischen Mitte 20 und Mitte 50.

Wie begegnet dir Gott digital?

In den letzten Jahren haben Podcasts viel mit meinem Glaubensleben zu tun – auch mit meiner theologischen Bildung. Wenn ich jogge, entstehen meistens für mich die spirituellen Momente. Dann habe ich oft Podcasts im Ohr mit Predigten oder theologischen Vorträgen. Das Wort kommt digital zu mir. Das zweite sind Menschen: Es gibt natürlich eine digitale Barriere. Ich habe den Menschen nicht analog vor mir, aber ich hätte ihn ohne das Digitale gar nicht vor mir.

Wie werden digitale Formen von Kirche und Spiritualität zukünftig Gemeinde verändern?

Was wir im Moment schon erleben, ist, dass das Digitale im ganz normalen Gemeindeleben nicht mehr wegzudenken ist. Kaum eine Sitzung, wo sich nicht eine Person online zuschaltet. Das ist ein Stückchen unverbindlicher, aber auch flexibler. Ich kann dabei sein, obwohl ich gerade im Zug sitze. Ich kann dabei sein, obwohl ich gerade krank bin, und das ist toll.

Das Digitale hat natürlich auch die Chance, dass wir internationaler werden. Im Moment sprechen wir deutsch in der betaKirche. Deutschsprachige Menschen, die in anderen Ländern leben, können dabei sein. In Zukunft könnte ich mir vorstellen, dass Gemeinde sich auch international abbilden lässt, wenn sie digital ist. Das wäre schon cool.

Welchen einen Satz gibst du unseren Leserinnen und Lesern mit?

Wir wissen nicht, wie die Zukunft wird, aber ich glaube, als Christen sollten wir die letzten sein, die eine optimistische Hoffnung aufgeben.

Das Interview führte Simon Diercks, Leiter Communication & Media und Church Relations sowie Gründungsmitglied der betaKirche

Dieser Artikel ist in unserem Magazin move (Mai – Juli 2023) erschienen.